In Rostock steht der Intendant selbst auf der Bühne. Soweit ist es mit dem Volkstheater schon, könnte man sagen. Zum Vergleich: In Wolfsburg steht der VW-Chef am Fließband? Das muss man sich erst mal vorstellen.
Aber das dürfte auch schon der wesentliche Unterschied zwischen Kunst und Wirtschaft sein. Kunst arbeitet auch mal, ohne zu verdienen. Eigentlich ist sie ja auch gar nicht dazu da. Nur: Dieser Unterschied wird systematisch ignoriert. Das veranlasst das Volkstheater zu wahnwitzigen Aktionen: freiwilliger Personalabbau, Austritt aus dem Bühnenverein, ernsthaftes Nachdenken über Haustarife. Über das Volkstheater als GmbH redet ja schon gar keiner mehr. Alles vermeintliche Einsicht und Verzicht im Namen der Kunst – der Klügere gibt nach, oder so – , statt die Wirtschaft auf ihrem eigenen Territorium anzugreifen: Pochen auf seinen Bildungsauftrag, Forderungen nach Bestandsschutz für eine öffentliche Einrichtung, Arbeitskampf um Gehaltserhöhungen.
Natürlich ist es in diesem Umfeld nicht leicht. Rostock war lange eine wichtige Theaterstadt: Berliner fuhren nach Rostock ins Theater. Das Teatro Lautaro der chilenischen Emigranten nach dem Pinochet-Putsch war hier. Das Jüdische Theater Mechaje war das erste jüdische Theater in Ostdeutschland. Aber nein, das bedeutet gar nichts. Die Ambitionen der „freien Szene“, treu unterstützt von einer ehemals alternativen Partei, sind dabei nur das eine.
Das Volkstheater lebt angeblich auf Kosten der freien Szene. Aber was leistet, was kann die freie Szene (diese!, konkrete!), was das Volkstheater nicht könnte? Was bringt sie beispielsweise an neuen Theaterformen, von denen das Volkstheater nichts wüsste? Der Minister will sie trotzdem stärker unterstützen; das war, neben anderem, einigen Fraktionen dann auch eine gute Portion Kungelei wert.
Die Stadt, zweitens, hat eine Zielvereinbarung unterschrieben, die einen nicht dynamisierten und noch dazu „maximalen“ Landes-Zuschuss bis 2020 festlegt. Den Rest soll sich das Theater wohl bei den Besuchern holen, die durch die Situation am Theater vergrault worden sind, und von den Sponsoren einwerben, die es in der hiesigen Wirtschaftslandschaft gar nicht gibt. Was sich auch das actori-Gutachten gedacht haben könnte, das ansonsten ja vergleichsweise verständnisvoll daherkommt – es benennt klar auch nichtmonetäre Effekte und Risiken der einzelnen Strukturmodelle; die Auswertung der Stadt („Übersicht Ergebnisse – Strukturuntersuchung Volkstheater Rostock GmbH (VTR)“ zur Bürgerschaftssitzung vom 5. November) pickt sich allerdings gut buchhalterisch nur die monetären heraus.
Was noch hinzu kommt: In den Diskussionsforen der letzten Wochen wird sogar ein Argument des lokalen Ablegers einer großen ehemaligen Arbeiterpartei von vor mindestens zehn Jahren wieder aufgewärmt: wozu so viel Geld in das Theater stecken, wo doch die Verkehrswege in Rostock so schlecht sind. Demnächst wird wahrscheinlich die Insolvenz eines großen städtischen Fußballclubs als Argument hinzukommen. Gern begleitet von dem Hinweis, ins Theater gehe doch sowieso keiner, höchstens Wohlstandsbürger und graumelierte Akademiker. Das ist alles nicht sehr intelligent, aber peinlich. Deutlicher kann man nicht sagen, dass man vom Theater, über das man ja befinden will, sehr wenig weiß. Und sich nicht stärker selbst beschränken, denn man kann sehr wohl Rad und Auto fahren UND mit dem Theaterbus und man kann ins Stadion gehen UND ins Theater. Die Diskussion um den Theaterneubau wurde jedenfalls schon wieder einmal erfolgreich auf die Standortdiskussion abgelenkt; Bürgerbeteiligung vorbildlich, trotzdem ein Scheingefecht. Nun gut, der Neubau steht in allen Dokumenten.
Hier das Idealbild der Wirtschaft von einem gezähmten Theater: das Musical. Ausgefeilt, technisch perfekt, von derselben mentalen Interaktivität wie ein Film, auf Überwältigung des Zuschauers ausgerichtet, lokal völlig unsensibel, Bespieltheater par excellence. Für Konsumenten. Immer wieder tragisch zu sehen, wie die Besucher trotzdem ein Heidengeld bezahlen, sich fein anziehen und sich einbilden, sie seien im Theater. Weit gefehlt. Theater beginnt da, wo es prinzipiell akzeptiert ist, dass an fünf Theatern im Land gleichzeitig fünf verschiedene Inszenierungen von Shakespeares „Sturm“ gespielt werden (zum Beispiel) und der Zuschauer anhand des Vergleichs sein eigenes Verständnis vom Anliegen des Stückes gewinnen kann. Außerdem eine Ahnung davon, wie man Theater macht, also unter Einberechnung der ewigen Unberechenbarkeit der Kunst. Die Möglichkeiten dafür zu schaffen, müsste ein Hauptanliegen eines Ministeriums sein, das „Bildung“ in seinem Namen führt. Und man weiß nicht einmal, warum sich das nicht „rechnen“ sollte; haben denn, andersherum, anderswo in unterversorgten Räumen „Theaterregionen“ schon funktioniert?
Wir werden sehen, wie es nach der Dezember-Bürgerschaftssitzung aussieht, denn bis dahin will sich die Stadt wohl noch Zeit nehmen, sich gegenüber dem Ministerium zur Struktur des Volkstheaters zu positionieren. Wie das bei der Gespaltenheit innerhalb der Stadt funktionieren soll, weiß man allerdings nicht. Warum nicht mal wieder die Bürger beteiligen? Eigentlich – pst – soll die Stadt dafür ja sogar ein Konzept vorlegen. Das wäre doch mal was.
Veröffentlichung des Beitrages mit freundlicher Genehmigung der Autorin