Der Agenda- 21 Arbeitskreis möchte hiermit aus einer nachhaltigen stadtentwicklungspolitischen Sicht zur Diskussion um die Zukunft des Volkstheaters Stellung nehmen.
Über alle Finanzierungsvarianten, Strukturkonzepte und politischen Sachzwänge hinweg, darf in der laufenden Diskussion nicht vergessen werden, dass diese inhaltlichen Fragen, in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit für den normalen Bürger nicht nachvollziehbar oder nachprüfbar sind, und somit für die Öffentlichkeit eigentlich nur wahrgenommen werden kann, ob die Stadt zukünftig für ein attraktives Kulturangebot stehen will, oder nicht.
An dieser Stelle wird mit dem anstehenden Beschluss zum Volkstheater ein Zeichen für oder gegen eine kulturoffene, und implizit auch für oder gegen eine lebenswerte, urbane Stadt gesetzt. Dies betrifft sowohl das Selbstbild der Stadt für ihre Bürger: „Wie wichtig ist uns Bildung und Kultur für uns und unsere Kinder“, wie auch die Außenwirkung, die sowohl für die Stadt, wie das ganze Land, das Image mitprägt: „Ostsee, Strand und Sonne – sonst nur dumpfe Soße?“.
In diesem Kontext möchten wir darauf hinweisen, dass sich unter den Rahmenbedingungen einer bereits massiv laufenden Bevölkerungsdynamik aktuell eine Konkurrenz zwischen den Städten um die junge Generation, insbesondere die Generation zwischen 20-35 Jahren, stattfindet. Die angesagten „Schwarmstädte“ wie Berlin, Hamburg, München, aber auch Leipzig, Mainz, Freiburg und Bamberg, gewinnen Einwohner, übrigens völlig unabhängig vom Mietpreisniveau weil sie „in“ sind. Andere Städte wie Frankurt/Oder, Duisburg, Hagen und Bremerhaven verlieren insbesondere junge Einwohner und damit Zukunftspotential, weil sie „out“ sind, und das unabhängig davon ob es Arbeit gibt oder billigen Wohnraum. Mit jeweils gravierenden Konsequenzen für die Gesamtstadt.
Die Argumente für oder gegen eine Stadt liegen in dieser Generation nicht mehr allein auf den klassischen Aspekten „Jobs“ und „Geld“; denn die gibt es inzwischen überall, sondern auf „wo stimmt das Lebensgefühl“ ! Das aber hängt entscheidend am Flair und der Atmosphäre einer Stadt und hier kommt die Kultur ins Spiel ! Städte die auf eine vielfältige, lebendige Kulturszene und urbane Attraktivität setzen, entwickeln sich erwiesenermaßen nachhaltiger, im Bezug auf Einwohnerzahlen, Lebensqualität und nicht zuletzt Wirtschaft. Jobs entstehen in unserer Gesellschaft inzwischen dort, wo die gesuchten Menschen sind. Dort wo keiner sein will, kommt oder bleibt auch keine Firma.
Ist dieser gesellschaftliche Perspektivwechsel, der sich mit der jungen Generation anbahnt, in unserer Stadt schon in den entscheidenden Köpfen angekommen? – Es scheint nicht so.
An dieser Stelle muss Rostock aufpassen, um den Zug der Zeit nicht endgültig zu verschlafen. Die Rostocker Kulturentwicklung ist seit der Wende ohne Konzept und ein konsequentes Desaster auf allen Ebenen. Die etablierte Kultur wie z.B. das Volkstheater ist davon genauso betroffen wie die freie Kulturszene.
Der Agenda-Rat fordert seit Jahren ein Kulturentwicklungskonzept für Rostock, das klare Ziele und verbindliche Prioritäten definiert. Daraus abgeleitet sind mittel- und langfristig konkrete Mittelbereitstellungen im Haushalt auszuweisen, um die kulturellen Institutionen gezielt und mit langem Atem entwickeln zu können. Bis heute wurde dieses Konzept nicht erarbeitet, um nicht zu sagen verhindert.
Genau diese fehlenden Rahmenbedingungen führen zur schleichenden Auszehrung der Kulturszene. Die Kulturschaffenden in Rostock existieren Jahr für Jahr ohne finanzielle und kulturpolitische Perspektive, vom Wohlwollen der Bürgerschaft und des Bürgermeisters im Jahresturnus ungewiss und abhängig, von einem Haushalt zu Nächsten, von der Hand in den Mund. Wer hat da die Kraft und die Lust etwas aufzubauen? Alles was sich an kulturellen Institutionen mit einiger Strahlkraft in Rostock entwickelt hat, wie z.B. „Frieda 23“, das „Peter-Weiss-Haus“ oder das „Liwu“, hat sich im Wesentlichen nicht durch kluge kommunale Kulturpolitik sondern unabhängig und geradezu trotz städtischer Kulturpolitik entwickelt.
Dank an diese engagierten Bürger!
Bekannte Negativbeispiele für das Versagen der Rostocker Kulturpolitik sind dagegen das Volkstheater und die für Rostock verlorene „Stubnitz“. Die „MS Stubnitz“ wurde 2013 vom Bundesstaatsminister für Kultur und Medien Bernd Neumann mit dem 1.Platz des deutschen Spielstättenprogrammpreises für „sein kulturell herausragendes Programm jenseits des Etablierten auf hohem musikalischen Niveau“ ausgezeichnet. Die Stubnitz lag in dieser Zeit in Hamburg, Bremen und London. Hat das in Rostock jemand auf dem politischen Parkett bemerkt? Hat man unterstützt und sich beteiligt…? Nein, Ablehnung und Desinteresse…
Immerhin wurde 2014 dem Rapper „Materia“ die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen. Das kostet aber auch nichts außer einem warmen Händedruck !
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Arbeitskreis Stadt- und Regionalentwicklung der Hansestadt Rostock bei der anstehenden Entscheidung zur Struktur und Finanzierung des Volkstheaters MUTIG ! und weitsichtig zu sein und sich für ein Maximum an Kultur zu entscheiden.
Zu eng gefasste buchhalterische Betrachtungen werden der Bedeutung und Wirkung der Kultur für den Menschen und unsere Gesellschaft nicht gerecht. Für den Umweltschutz ist die Problematik der abgegrenzten buchhalterischen Betrachtungsweise jedem bekannt. Atomstrom ist der Billigste – kurzfristig gerechnet. Langfristig gerechnet, unter Einbeziehung aller Folgekosten – der Teuerste. Kultur scheint heute Vielen zu teuer zu sein. Ist sie das wirklich?
In Zeiten von Pegida, Rogida und einem vielfältigen Driften in die Extreme ist „Menschenbildung“ wieder ein Aspekt der ins Blickfeld gerückt werden könnte. Was ist heute „Das Gute Leben“ ? – Eine zutiefst menschliche Frage, die seit der Antike ein Leitstern klassischer europäischer Philosophie, Kultur und Staatskunst darstellt und uns leider im „Geiz ist Geil“ Rausch aus dem Blickfeld gerückt ist.
Dieses und das ganze Spektrum der existentiellen menschlichen Themen wurden und werden seit jeher in der europäischen Kultur im Theater sinnlich verhandelt. Mit allen Ausdrucksformen die der menschliche Körper ermöglicht. Gesprochen, gesungen, getanzt. Live, jetzt und hier. Mit persönlicher Anteilnahme, bis zum Buhruf und der stehenden Ovation.
Ist in Rostock dafür überhaupt ein Publikum vorhanden? Vielleicht nicht mehr – oder gerade noch nicht? Aber sollten wir deshalb dieses lang bewährte Werkzeug der gemeinsamen Kommunikation darüber was das Leben ausmacht, oder ausmachen könnte, wegwerfen und auf kulturelle Fertiggerichte setzen? Wir meinen nein ! Selber kochen ist frischer und gesünder – weiß jeder.
Also weitermachen. Besser machen.
Wir haben ein gutes Theater-Team.
Gebt Ihnen Zeit.
Gebt Ihnen Geld.
Geht hin.
Uwe Hempfling
(Sprecher Arbeitskreis Stadt- und Regionalentwicklung)