Am 30. Oktober fuhr unser bis auf den letzten Platz besetzter Theaterbus bei sonnigem Wetter durch eine herrlich anzuschauende Herbstkulisse nach Hamburg.
Der Vorstand hatte auch unsere diesjährige Theaterexkursion nach Einschätzung der Teilnehmer wieder umsichtig organisiert. Die Busfahrt wurde durch Herr Jaster für eine informative Einstimmung auf die vierstündige Theateraufführung, die uns am Deutschen Schauspielhaus erwartete, genutzt.
Mit „Schuld und Sühne“ hatte Fjodor M. Dostojewski 1866 einen Ideen-Roman veröffentlicht, der erstmals ausschließlich Figuren aus dem Volk in den Vordergrund rückte. Mit der an seinen eigenen inneren Konflikten leidenden Figur des Rodion Raskolnikow entwarf Dostojewski ein spannendes Psychogramm und gleichermaßen die Versuchsanordnung einer Ideologie, die zentral um die Frage kreist, ob Menschen, die sich als außergewöhnlich empfinden, sich außerhalb der geltenden Moral und des geltenden Rechts stellen dürfen. Eine aktuelle Frage durchaus in unseren Maßstäbe zerbrechenden und geschichtsverlorenen Zeiten uneingrenzbarer Individualisierung und Reklamation von Rechten und Befugnissen!
Doch bevor nach einem kleinen Mittagsimbiss im Theaterkeller des Schauspielhauses die Vorstellung begann, besuchte die 50-köpfige Reisegesellschaft zunächst die Kunsthalle der Freien und Hansestadt Hamburg. Großartiges auch hier: Surrealisten von Dali bis Max Ernst, die Wände voll mit Bildern, die Räume voll mit Menschen, Skulpturen, Möbelkreationen und ready mades. Dass diese Kunstrichtung vor beinahe einhundert Jahren entstanden sein soll, glaubt man kaum, wenn man sich die Bilder, Zeichnungen und Statements der Surrealisten-Gruppe, darunter auch einige wenige Frauen, betrachtet. Unbedingt empfehlenswert! Die Hamburger Kunsthalle kann übrigens auf den bundesweit größten Unterstützerverein verweisen, der sage und schreibe 18.000 Mitglieder zählt! Beeindruckend…
Während unserer Mittagspause trafen zu unserer Freude vier Mitglieder des Förderkreises des Deutschen Schauspielhauses in der Theaterkantine ein. Sofort entwickelte sich ein anregendes Gespräch, in dessen Verlauf unser Verein eine Einladung nach Rostock aussprach. Hoffen wir also, dass die Hamburger im kommenden Jahr eine Kurzreise an die Warnow antreten!
Die Inszenierung des Dostojewski-Romans durch Karin Henkel überzeugte die Autorin dieser Zeilen durchaus! Moderne Theatermittel, durchgängig gebaute Räume auf der intensiv genutzten Drehbühne, ein großartiger Charly Hübner als Ermittlungsrichter Porfirij, eine großartige Lina Beckmann in verschiedenen Rollen. Raskolnikow wurde durch mehrere Schauspieler psycho-logisch sinnfällig dargestellt. Die Haupthandlung blieb stringent; die Nebenhandlungen hätten im Interesse der Konzentrationsfähigkeit des Publikums im ausverkauften Saal allerdings einige Kürzung vertragen.
Die reichen Kaufleute und Ratsherren der stolzen Hansestadt Hamburg gehörten in der Vergangenheit bekanntermaßen wahrlich nicht zu den kunstsinnigen Deutschen. Man denke an Johann Sebastian Bach, den man abwies, weil man ihn nicht bezahlen wollte. Man denke an Lessings Enttäuschung angesichts des in großen Teilen konventionellen Spielplanes des Deutschen Nationaltheaters (immerhin des ersten in deutschen Landen), den er bürgerlich- progressiv zu prägen angetreten war. Als den Hamburgern das Geld ausging, wurde das Theater geschlossen. Man denke an Heinrich Heine, der in seinem Poem „Deutschland. Ein Wintermärchen“ die Hamburger als „wandelnde Ruinen“ beschrieb und der Schutzheiligen der Stadt, Hammonia, einen Zaubertopf in die Hand gab, der sich als stinkender Nachttopf Karls des Großen erwies und von Deutschlands künftigem Duft kündete. Doch Hamburg wuchs, wurde Großstadt und Metropole und erlebt sich längst stolz als Kulturstadt von nationalem und internationalem Rang! In unserer Stadt Rostock hingegen, der einzigen Großstadt unseres Bundeslandes, ist die Erkenntnis von der Schönheit und Notwendigkeit kultureller Ausstrahlung noch immer nicht angekommen.
Antje Jonas