Notizen von unserem Vereinsmitglied Seraphin Feuchte,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut/Universität Rostock
Rostock eine Theaterstadt? Für manch einen Kommunalpolitiker mag diese Zuschreibung für Verwunderung gesorgt haben, da bis vor wenigen Jahren hitzig um den Erhalt des Vier-Sparten-Theaters diskutiert wurde. Und in der Tat wird das Kulturjahr 2020, immerhin die 125. Spielzeit unseres Stadttheaters, in eindrücklicher Erinnerung bleiben: Das Volkstheater musste aufgrund der Corona-Krise ankündigen, seine Pforten ab 15. März für mehr als fünf Monate zu schließen.
Dieser Text ist ein Blick in unsere Rostocker Theatergeschichte. Ein Ausblick in die Gegenwart soll aufzeigen, worauf wir uns bei der Wiederaufnahme des Spielbetriebes im Theaterjahr 2020 freuen können.
Viel Vergnügen und bleiben Sie gesund!
500 Jahre Rostocker Theaterzettel
Der älteste deutsche Theaterzettel stammt aus Rostock. Dieser kündigte ein geistliches Schauspiel für den 22. Juli 1520 an. Das Besondere: Während für andere norddeutsche Städte schriftliche Quellen über Theaterereignisse aus der Reformationszeit fehlen, liegt mit der gedruckten Ankündigung des Theaterspektakels eine Art „Gründungsdatum“ der Rostocker Theatertradition vor. Der Buchdruck ermöglichte diese frühe Form der Werbung. Mit hoher Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass es sowohl in Rostock als auch anderswo bereits vor 1520 Theateraufführungen gab. Die Künstler waren zu jener Zeit allerdings „fahrende Gesellen“. Feste Ensembles formierten sich erst zwei Jahrhunderte später unter Conrad Ekhof, dessen Jubiläum im nächsten Abschnitt näher beleuchtet werden soll.
Der Rostocker Theaterzettel von 1520
300. Geburtstag von Conrad Ekhof
Das Leben von Conrad Ekhof (1720-1778) stand seit frühester Kindheit ganz im Zeichen des Schauspiels. Noch bis heute gilt er als „Vater der deutschen Schauspielkunst“, da er sich für lebensnahe Charaktere und Spielformen auf der Bühne engagierte. Was könnte besser an Ekhof erinnern, als ein historischer Rückblick auf sein Wirken in Mecklenburg?
Ein wichtiger Schritt in Ekhofs künstlerischer Entwicklung war der Beitritt zur „Schönemannschen Gesellschaft“ 1740, die durch ihre Gastspiele in ganz Norddeutschland als beste deutsche Schauspieltruppe hochgeachtet wurde. Ab 1750 folgten mehrere Gastspiele in der Hansestadt im noch heute als „Barocksaal“ bekannten Gebäude. Auch wenn diese „Wanderjahre“ für Ekhof künstlerisch besonders erfolgreich waren, ermöglichte ihm erst die Festanstellung 1751 am Schweriner Hofe bei Herzog Christian Ludwig II. die Chance auf ein finanziell gesichertes Leben.
Am 28. April 1753 gründete er in Schwerin die erste deutsche Schauspiel-Akademie, die allerdings nur dreizehn Monate existierte. Auch im weiteren Leben sollte sich zunächst keine Kontinuität bei Ekhof einstellen: Nach Mitwirkung in verschiedenen Theatertruppen („Schuchsche Gesellschaft“ in Danzig, Schauspielgesellschaft des Heinrich G. Koch in Hamburg, „Ackermannsche Gesellschaft“ in Hamburg, „Seylersche Schauspiel-Gesellschaft“ in Hannover) gelangte er über Stationen in Wetzlar und Weimar sowie nach Zusammenarbeit mit dem Dichter Gotthold Ephraim Lessing schließlich nach Gotha.
Hier gründete Ekhof 1775 mit Unterstützung durch den kunstsinnigen Herzog Ernst II. von Gotha das erste deutsche Ensemble-Theater. Dieses „Ekhof-Theater“ leitete er höchstpersönlich bis zu seinem Tod. Heute gilt sein „Ekhof-Theater“ in Gotha als weltweit ältestes noch erhaltenes Barock-Theater.
Conrad Ekhof war im 18. Jahrhundert in Mecklenburg also kein Unbekannter. Zu seinen Ehren initiieren die Theaterfreunde Schwerin e.V. seit 1998 jährlich einen mit 2.500 Euro dotierten Conrad-Ekhof-Preis. Das Volkstheater Rostock verlieh in der DDR-Zeit einen Conrad-Ekhof-Ring. Seit 1969 wurden mit dem Preis Künstler und verdienstvolle Mitarbeiter des Volkstheaters geehrt (Hanns-Anselm Perten, Ralph Borgwardt, Hermann Wagemann, Gerd Micheel, Kurt Wetzel, Else Wolz, Heinz Buchholz und Dr. Hans-Joachim Theil) wie Personen der sozialistischen Kulturszene (die Schauspielerin Karin Seybert, der Grafiker Georg Hülsse oder die Intendantin Ilse Weintraut Rodenberg u. a.).
Sicherlich hätte es Conrad Ekhof gefreut, dass im 21. Jahrhundert, 300 Jahre nach seiner Geburt, die Welt voller Bewunderung auf die einzigartige deutsche Theater- und Orchesterlandschaft blickt. Diese soll in Kürze zum immateriellen UNESCO-Welterbe erklärt werden.
125 Jahre Zweites Rostocker Stadttheater
Mit großer Freude war auch die Eröffnung des zweiten Rostocker Stadttheaters am 5. Oktober 1895 verbunden. Dieses hochmoderne Theatergebäude, im Stil der Neorenaissance errichtet, wusste die Rostockerinnen und Rostocker auf Anhieb zu überzeugen. Architekt war der Theaterexperte Prof. Heinrich Seeling (1852-1932), der vier Jahre später das nahezu identische Gebäude auch in Gera realisierte.
Mit diesem Theatergebäude eng verbunden war auch ein anspruchsvoller Rostocker Spielplan, der sich von Musiktheater (Oper und Operette) und Konzerten über Schauspiele bis hin zu Ballettveranstaltungen erstreckte. Uraufführungen sowie ein Wagner-Schwerpunkt der Oper waren profilgebend. Bedeutende Künstler ihrer Zeit gastierten im Rostocker Stadttheater, darunter Engelbert Humperdinck, Richard Strauss, Wilhelm Furtwängler, Thomas Mann, Hans Albers und Gret Palucca. Weitere interessante Einzelheiten dazu finden Sie in unserem Theaterlesebuch „Stadt und Bühne“.
Auch wenn dieses Gebäude den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden hat und die Überreste 1948 gesprengt werden mussten, ist mit der Eröffnung vor 125 Jahren auch an die selbstproduzierende Vier-Sparten-Tradition in Rostock zu erinnern, auf die wir bis heute stolz zurückblicken.
Und was steht uns im Theaterjahr 2020 noch bevor? Hoffentlich nur künstlerische Höhepunkte!
Der Corona-Krise ist sogar etwas Positives abzugewinnen: Das Ensemble und die Rostocker Kulturszene sind eng zusammengerückt. Durch eine Vielzahl an kreativen Ideen und Online-Formaten ist es in den vergangen zwei Monaten gelungen, die Wohnzimmer der Rostockerinnen und Rostocker auch auf ungewöhnliche Weise mit Theaterkunst zu versorgen. Auch wenn das keinen vollständigen Theaterbesuch ersetzen kann, so steigern diese Beiträge doch die Vorfreude auf einen künstlerischen Neustart nach der Corona-Krise.
Wie dieser Neustart in die Theaterspielzeit 2020/21 aussehen wird, bleibt abzuwarten. Aber schon jetzt können wir gespannt sein auf eine Dichte an Großprojekten, die in Kombination mit weiteren Premieren und Konzerten eine ganz besondere Spielzeit erwarten lassen: Zu nennen sind neben der Oper „Eugen Onegin“, dem Musical „Cabaret“ oder der Rostocker Erstaufführung der Natschinski-Operette „Messeschlager Gisela“ auch die „Alpensinfonie“, „Queen im Ostseestadion“, das traditionelle „Zookonzert“ oder „Carmina Burana“.
Bildquellen:
Abb. 1: Rostocker Theaterzettel (Stadtarchiv Rostock: 3.06 Theaterzettel Nr. 1).
Abb. 2: Porträt Conrad Ekhof (https://de.wikipedia.org/wiki/Conrad_Ekhof#/media/Datei:Anton_Graff_004.jpg;
Künstler: Anton Graff; Abruf: 09.05.2020).
Abb. 3: Conrad-Ekhof-Ring des Volkstheaters (Foto: Privatarchiv Wolfgang Woelk).
Abb. 4: Das zweite Stadttheater (Stadtarchiv Rostock: 3.02. 3 Richard-Wagner- Straße, Inv.Nr. 5526).