Rolf Hochhuth (1931-2020) war einer der erfolgreichsten und zugleich streitbarsten Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Im Mai dieses Jahres verstarb er im Alter von 89 Jahren. Die internationale Fachpresse berichtete ausführlich über Autor und Werk. Und in Rostock? Was verband Rolf Hochhuth mit dem beschaulichen Mecklenburg? Weshalb betrachtete der Dramatiker das Volkstheater zeitlebens als seine „geistige Heimat“?
Wirken des Dramatikers Rolf Hochhuth
Mit einem Theaterskandal sorgte der gelernte Buchhändler für Aufsehen und wurde international bekannt: In seinem Erstlingswerk „Der Stellvertreter“ schrieb Hochhuth Papst Pius XII. eine Mitschuld an der Judenverfolgung im Dritten Reich zu, da das Oberhaupt der Katholischen Kirche schwieg und nichts gegen den Holocaust unternahm. Zeitgleich zur Uraufführung 1963 in der Inszenierung von Erwin Piscator (West-Berlin) erschien eine Fassung auch in Buchform und verbreitete sich rasant. Die politischen Kontroversen um das Werk gewannen derart an Intensität, dass Hochhuth die Bundesrepublik verließ und in die Schweiz übersiedelte. An seiner Popularität änderte das wenig: Fortwährend besaß Hochhuth ein Gespür für gesellschaftlich und historisch höchst brisante Themen, die er für die Theaterbühne ertüchtigte. Seine Bühnenwerke waren seit den 1960er Jahren Inbegriff eines „Dokumentarischen Theaters“.
Zu den Themenschwerpunkten gehörten die Aufarbeitung des Nationalsozialismus („Der Stellvertreter“, „Die Soldaten“, „Heil Hitler!“, „Hitlers Dr. Faust“) sowie die Auseinandersetzung mit Politik der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik („Juristen“, „Ärztinnen“, „Die Hebamme“, „McKinsey kommt“, „Unbefleckte Empfängnis“, „Familienbande“, „Wessis in Weimar: Szenen aus dem besetzten Land“). Zunehmend gewannen auch Aspekte des Kalten Krieges („Lysistrate und die NATO“, „Judith“, „Guerillas“) und Kontroversen der deutschen Geschichte („Sommer 1914“, „Effis Nacht“, „9 Nonnen fliehen“, „Nachtmusik“, „Tod eines Jägers“) an Bedeutung.
Hochhuth und das Volkstheater Rostock
Bis 1984 stellte Hochhuth neun Bühnenwerke fertig, sieben davon erlebten zwischen 1966 und 1985 ihre DDR-Erstaufführung am Volkstheater Rostock. Wieso dies gerade in Rostock erfolgte, wo der Name „Hochhuth“ doch in der Presse vielfach mit negativen Schlagzeilen und ausufernden Kontroversen verbunden war, lässt sich auf die Künstlerfreundschaft des Dramatikers mit dem Rostocker Intendanten Hanns Anselm Perten (1917-1985) zurückführen. Perten wagte viel, weil er sich seines Einflusses in höchsten Kreisen bewusst war. Er machte nicht nur eine Reihe von Westautoren für die DDR spielbar, etwa Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch oder Peter Weiss sowie den Jahrhundert-Komponisten Hans Werner Henze. Perten realisierte auch einen beeindruckenden Spielplan, der nie das Ziel aus den Augen verlor, mit den Mitteln des Dokumentarischen Theaters „dem Zeitgenossen nicht Rezept, sondern Antwort zu geben auf zeitgenössische Fragen und sei es im historischen Gewand.“
Hochhuth und Perten begegneten sich erstmals 1965. Ihre Freundschaft ging schon bald über Briefkontakte weit hinaus. Die politisch gegensätzlichen Ansichten spielten im Arbeitsprozess keine Rolle. Regelmäßig reiste Perten in die Schweiz, um den Dramatiker als „Mentor“ bei der Erarbeitung neuer Theaterstücke künstlerisch zu beraten. Hochhuth schätze noch Jahre später an Perten, dass er sich immer Zeit für ihn nahm und seine Arbeit, öffentlicher Anfeindungen zum Trotz, wertschätzte und förderte. Auch die Lokalpresse erkannte Hochhuths Potential: Am 1. April 1980 war in den NNN als Reaktion auf die Rostocker-Neuinszenierung der „Juristen“ zu lesen, wie seine Werke „zu leidenschaftlicher Stellungnahme und Identifikation herausfordern und unvergessen […] nachklingen.“
Hochhuth-Aufführungen in Rostock
Die Rostocker Erstaufführung des Stückes „Der Stellvertreters“ erfolgte am 27. Februar 1966, vorangegangen war eine Premiere in Greifswald sieben Tage zuvor. Allerdings blieb der Erfolg beider Inszenierungen aus. So ist es zu erklären, dass Hochhuths Folgewerke – „Die Soldaten“ und „Guerillas“ bis heute nicht in Rostock zur Aufführung gelangten. Als Perten dann 1970 Intendant des Deutschen Theaters in (Ost-)Berlin geworden war, wurde es endgültig still um Hochhuths Dramatik in Rostock. Nachdem Perten 1972 an das Volkstheater zurückkehrte, intensivierte er alsbald die Zusammenarbeit und bereitete weitere Erstaufführungen für die Hansestadt vor. Fortan konnte im Zweijahres-Rhythmus eine neue Hochhuth-Premiere realisiert werden, häufig im bewährten Team mit Perten als Regisseur und Falk von Wangelin (*1940) als Bühnenbildner. Der Dramatiker war jeweils zu den Endproben zu Gast. Im Februar 1973 folgte die DDR-Erstaufführung „Die Hebamme“. Die nächste Inszenierung war „Lysistrate und die NATO“ im Januar 1975. Schließlich gelangte im Oktober 1977 mit „Tod eines Jägers“ Hochhuths viertes Werk in Rostock zur Aufführung, welches DDR-weit im Fernsehen übertragen wurde. Weitere Inszenierungen waren: „Die Juristen“ 1980, „Ärztinnen“ 1982 sowie (Pertens letzte Inszenierung) „Judith“ 1985. Die langjährigen Bemühungen, gesellschaftlich relevante Themen in Rostock zur Aufführung zu verhelfen, bewog Hochhuth, den verstorbenen Rostocker Generalintendanten 1985 als „Wegweiser und Repräsentant des politischen Theaters“ zu würdigen.
1979, auf dem Höhepunkt der Hochhuth-Rezeption in Rostock, zog der Dramatiker schließlich Bilanz: „Ich kann sagen, daß ich das Rostocker Volkstheater, seine Direktion und sein Ensemble, als eine geistige Heimat betrachte, von der ich mich sehr aufgenommen weiß.“ Umso mehr bleibt zu wünschen, dass 35 Jahre nach der letzten Hochhuth-Inszenierung wieder ein Werk den Weg auf die Rostocker Bühne findet, auch im Gedenken an den in Mecklenburg zu Unrecht vergessenen Dramatiker.
*Bildquelle: wikipedia