Zur Uraufführung des Ballettes im Volkstheater Rostock am 2. November 2019
von Ulrich Hammer
Wer als Zuschauer im fast ausverkauften Saal unseres Theaters saß, kam aus bewunderndem Staunen nicht heraus. Staunen über eine Gemeinschaftsleistung des ganzen Hauses, vor allen Dingen der Tanzcompagnie, der Bühnen- und Kostümbildner und der Techniker. Besonders galt das Staunen aber einer geistig-künstlerischen Leistung, die das Publikum in eine Welt des Märchens, der Mystik, des Himmels und der Hölle entführte. Diese Traumwelt jedoch korrespondierte gleichzeitig mit den Urproblemen menschlicher Existenz.
Worum geht es: Der holländische Maler Hieronymus Bosch (ca. 1450- 1516; damit wenige Jahre vor Dürer wirkend) ist eine irritierende Persönlichkeit der Kunst. Die kunstgeschichtliche Forschung kann bis heute seine skurril-phantastische geistige Welt nicht deuten. Großformatige Tafelbilder, aufgebaut wie spätgotische Altarbilder, nehmen zwar deutlich Bezug auf christlich geprägte Mythen, fügen aber ganz andere, sowohl unheimliche als auch paradiesisch-erotische Elemente, der Bildsprache hinzu.
Diese paradiesisch-lustvolle, aber auch unheimliche Welt des Malers auszudeuten, unternahm die Leiterin der Compagnie Katja Taranu. Als Choreographin trat Hung-Wen Mischnik hinzu, die als Tänzerin der Compagnie schon in der letzten Spielzeit für eine Episode des Ballettabends über Edgar Allen Poe als Choreographin auf sich aufmerksam machen konnte. Unterstützt von einem so poetisch wie sinnvoll-praktischen Bühnenbild und von an die Bildwelt Boschs angelehnten, phantasievollen Kostümen (Bühne und Kostüme Robert Schrag) sowie einer sehr tänzerischen Musik (H. Gorecki und J.P. Werge) samt einer klugen Dramaturgie, die geschickt Textstellen aus der Bibel und dem „Narrenschiff“ (Sebastian Brant, 1494) in das Bühnengeschehen einbaute (Dramaturgie Jens Ponath), wurde der Zuschauer in den Sog des Geschehens gezogen.
Dazu trugen Videoprojektionen intensiv bei. Lust, Last und Ängste strömten auf einen ein, um schließlich doch in einer Apotheose der Schöpferkraft und erlösender Freude zu münden. Die Zuschauer folgten atemlos dem Geschehen, staunten über die Sprache, die die Ballettkunst hier erschloss, und über die Tänzer, die alle Möglichkeiten des Körperausdrucks bis an die Grenzen erforschten.
Großer Applaus dankte allen Mitwirkenden. Besonderer Dank gebührt auch den jungen Mitgliedern des freien Theaters Freigeister, die als Sprecher und Vermittler zwischen den Szenen eingebunden waren.