Wir waren bestimmt rechtzeitig am Theater. Wir sind immer zeitig da. Ich möchte mich umschauen, ein Glas Wein trinken, in den Saal luschen, einen Blick in die Besetzungsliste und in das Programmheft werfen, die Plakate und Bilder an den Wänden betrachten und mich dabei erinnern, was man schon gesehen hat oder auch Anregungen bekommen, was man keinesfalls verpassen dürfe.
Nun waren wir also in Kopenhagen.
Als unser Reisetermin feststand, schaute ich nach Angeboten im neuen Opernhaus. Seit seiner Fertigstellung 2004/2005 läuft der imposante Bau der „Kleinen Meerjungfrau“ den Rang des populärsten Fotoobjekts ab. Für unseren Besuch war lediglich eine Vorstellung angekündigt: „Madame Butterfly“, mit 195 Kronen pro Karte auch locker im Budget. Leider mit einigen Einschränkungen: Die Vorstellung ist ein Gastspiel, sie findet nicht im großen Saal statt – und sie ist ausverkauft.
Eine der ersten Aktionen nach Ankunft im Hotel war folgerichtig das Aufsuchen des Concierges, spätestens seit Michael J. Fox die Institution für Unmögliches schlechthin. Und er machte mir Hoffnung: kein spöttisches Lächeln um die Mundwinkel ob meines ausgefallenen Wunsches: „Es ist nicht einfach, aber nicht unmöglich“. Doch sowohl am Abend als auch an den folgenden Morgen – leider keine Änderung.
Entmutigt – auch vom Michael-Müller-Reiseführer („… sind Karten schwer zu bekommen, schon gar nicht spontan!“) – aber nicht hoffnungslos, begaben wir uns also adäquat gekleidet zu diesem 335-Millionen-Euro-Musentempel, Fotoapparat und Stativ im Auto: wenn alle Stränge reißen, kann man (sich) wenigstens ein Bild vom Theater machen.
„Nein, leider nicht“ war die enttäuschende, aber durchaus erwartete Antwort auf meinen Fragenregen, ob denn jemand bereits Karten zurückgeben wollte, ob eventuell noch nicht abgeholte Karten an der Abendkasse zu haben seien oder ob sie jemanden gesehen hätte, der zuviel gekaufte Karten feilböte.Die freundliche Einlasserin schaut mich bedauernd an und erklärt, dass die Vorstellung nur für Mitglieder des Fördervereins, Mitarbeiter und geladene Gäste wäre. „Nein, leider nicht“, sagte sie also, und nun begann auch die letzte Hoffnung zu schwinden. „Wie viele Karten benötigen Sie denn?“ … OHA?? …„Zwei“ sagte ich, „für mich und meine Frau“. „Also jeder Mitarbeiter bekam für die Vorstellung zwei Karten kontingentiert, ich habe Dienst und konnte meine nicht verwenden. Wenn Sie diese möchten? Kosten 50 Kronen. „Ja, ich will!“ klang es unisono aus meiner Frau und mir. „Na dann folgen Sie mir mal“, und schon ging es quer durchs Foyer zu einem kleinen Kassenbüro.
Zwei Herzen schlugen höher, sollte es wirklich klappen? 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn? Nach vielen Dankesworten und den Erklärungen, man gehe gern und oft in die Oper, und dies hier wäre ja wirklich ein spektakulärer Höhepunkt und die „Butterfly“ ist ja auch wirklich eine herausragende „BUTTERFLY???
Also … heute Abend läuft FALSTAFF! Generalprobe!“
OH! Das kam unerwartet, aber keinesfalls ungelegen. Und plötzlich ergab das alles erst einen Sinn. Natürlich stand die Generalprobe nicht im Spielplan, selbstverständlich ist diese auf der großen Bühne – und Mitarbeiterkarten kosten 50 Kronen. Zwei Karten zusammen. Und für 5 Kronen mehr gibt es in der Pause einen Rosé. Einen.
Nun saßen wir, von unserer persönlichen Theaterreferentin bis zum Platz geleitet, in der 9. Reihe dieses fantastischen Geschenks Arnold Maercks an die Stadt Kopenhagen.
So kam es, dass wir „Falstaff“ in Kopenhagen sahen. Und jedes Mal, wenn ich nun mit Freunden in Rostock im Volkstheater sitze, überlegen wir, welcher der hiesigen Milliardäre uns wohl eine neue Bühne spendieren könnte. Ein Theater, das so schön ist, dass jeder Rostocker stolz darauf ist und es zumindest als eine der wichtigsten drei Sehenswürdigkeiten benennen würde, sollte er einmal von Besuchern gefragt werden, was man sich anschauen muss. Ein Haus, das nicht nur wegen seiner architektonischen Einzigartigkeit, sondern auch seiner Ensembles wegen geliebt wird. Ein Kulturtempel, der Aufmerksamkeit erregt: in der Presse, im Fernsehen, in den Gesprächen auf der Straße und in den Internetforen.
Und träfe ich vorm Theater auf zwei Touristen, die leider keine Karte mehr bekommen haben, und kämen die beiden ganz zufällig aus Kopenhagen, so würde ich ihnen sicher meine Karten überlassen, weil ich bestimmt nie vergessen werde, was für ein außerordentliches Erlebnis das ist, in einem so schönen Theater eine so glanzvolle Vorstellung erleben zu können.