Wann ist eine Stadt für ihre Bewohner attraktiv? Ganz sicher sind bezahlbarer Wohnraum und ein gut funktionierender Nahverkehr von einigem Wert, eine hohe Anzahl von Arbeitsplätzen und Kitaplätzen ebenso. Als Attraktion gelten diese Gegebenheiten heutzutage allerdings nicht. Viele Grünflächen und wenig fliegendes Papier, auch das macht eine Stadt lebens- und liebenswert. Aber auch das reicht am Ende nicht. Glücklich kann sich eine Stadt dann schätzen, wenn ihre Wirtschafts- und Kulturgeschichte, wenn ihre Traditionen in der Gegenwart zeitgemäß erlebbar werden. Alte Gebäude und moderne Architektur, Museen, Theater, Galerien, die freie Kultur, sie alle prägen den Geist einer Stadt und sorgen für ihre Ausstrahlung, ihr Image.
Rostock braucht dieses Image eines urbanen Kulturstandortes offenbar nicht. Man gibt sich augenscheinlich zufrieden mit dem, was man hat. Viele Stadtpolitiker sowie der Oberbürgermeister sind nicht willens oder in der Lage, die Großstadt Rostock kulturell groß zu denken. Wie wird sich Rostock in wenigen Jahren zum 800. Stadtgeburtstag präsentieren?
Nur eine Vision scheint es seit Jahren dauerhaft zu geben, die des ausgeglichenen Haushaltes. Rechnen aber ersetzt nicht das Denken und Fühlen und Kommunizieren! Das Surfen im luftleeren und leblosen Universum der Zahlen scheint angenehm zu sein; hier lassen sich Phantasielosigkeit und das kommunikative Unvermögen gut verbergen. Armes Rostock!
Aus diesen Gründen fehlt bis heute ein Maritimes Museum in der größten Stadt unseres Bundeslandes. Deshalb wurde kürzlich die Sanierung des einstigen Kunstmuseums in der August-Bebel-Straße ausgesetzt. Die Immobilie möchte die Stadt am liebsten ganz loswerden. Deshalb wird die so facettenreiche freie Kultur seit Jahren mit einem Hungerlohn abgespeist. Deshalb sind viele Volksvertreter nicht gewillt, das Volkstheaterals älteste und größte Kunststätte vor dem allzu vordergründig daherkommenden Sparzwang zu schützen. Wenigstens die Kunsthalle haben wir… aber auch ihre Renaissance war nicht das Resultat von leidenschaftlichem kommunalpolitischem Engagement. Ein Rostocker Zahnarzt übernahm seinerzeit und in letzter Minute Verantwortung und Risiko. Noch einmal: Wie wollen wir in zweieinhalb Jahren unseren Stadtgeburtstag begehen!?
Rostock spart Geld für einen ausgeglichenen Haushalt und ist bereit, dafür einen hohen Preis zu zahlen – den des Abfalls in die kulturelle Provinzialität, in die Mittelmäßigkeit des Geistes und die seelische Armut. Rostock als Stadt einer zweifelhaften Fußballbegeisterung und wirtschaftlich ambitionierterGroßevents wird mit den Schwesterstädten an der Ostsee nicht mithalten können und weit hinter die kulturell attraktiven Städte wie Lübeck, Gdansk, Szczecin oder Kopenhagen zurückfallen. Hanseatischer Geist in der Hansestadt Rostock?
Und aus aktuellem Anlass: Wer seine eigene Kultur nicht kennt, sie nicht schätzt und schützt, wer seine eigene Geschichte nicht kennt, der weiß am Ende um seine eigenen Wurzeln nicht. Mit schwindender kultureller Identität aber schwinden Bildung und Bindung und mit einiger Wahrscheinlichkeit das Bewusstsein darüber, welch hohes Gut die Demokratie darstellt.Wer die Theater als kulturelle Kraftzentren unserer Städte angreift, wer bereit ist, Kunst und Kultur wegen kurzfristiger finanzieller Vorteile abzubauen, übernimmt angesichts der nationalen, europäischen und internationalen Krisenstimmung eine große Verantwortung.
Antje Jonas