Rostock ist eine Theaterstadt!
Das Rostocker Theater hatte eine große Vergangenheit
Das Volkstheater Rostock steht in einer über 200-jährigen Tradition. Bereits 1786 wurde in der Nähe des Steintores ein Haus gebaut. Bürger der Hansestadt finanzierten und besuchten es. Als das Gebäude abbrannte, entstand ein großer repräsentativer Neubau unweit des vormaligen Standortes. Nach kurzer Bauzeit, wiederum finanzierte das Bürgertum der Stadt sein Theater, konnte es 1895 (wieder)eröffnet werden. Im April 1942 wurde Rostock bombardiert. Das Gebäude erhielt mehrere Treffer und brannte fast vollständig aus.
Dennoch: Seit 1895 gilt die neue Zeitrechnung des Theaters in Rostock, das inzwischen als Volkstheater Rostock vor wenigen Wochen seine 120. Spielzeit eröffnet hat. Das Theaterspektakel „Stapellauf“ unter der Regie des neuen Intendanten Sewan Latchinian weckte berechtigterweise sogar bundesweit großes Interesse und begeisterte das Rostocker Publikum.
Die sozialistische Zeit vor der Wende war gekennzeichnet durch die besondere politische und theaterästhetische Positionierung des Hauses unter dem Intendanten Hanns Anselm Perten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden sehr erfolgreich Wagner-Werke, darunter mehrfach der „Ring der Nibelungen“ inszeniert. Diese beiden Traditionslinien spielten nach der Wende allerdings keine Rolle mehr und warten dieser Tage noch immer auf eine kritische Würdigung, also eine Vergegenwärtigung.
Gespielt wird seit 1945 in einem Provisorium, dessen Kern ein altes Veranstaltungshaus ist, das mit Anbauten versehen wurde. Die Theatertechnik ist hoffnungslos veraltet, der Orchestergraben zu klein. Das Theatergebäude des Volkstheaters Rostock verliert im Jahr 2018 seine technische Betriebsgenehmigung.
Die Gegenwart des Volkstheaters Rostock – Kunst in Zeiten der Krise
Nach 1990 kam es zu vielen Intendantenwechseln; das hauseigene Marketing ließ zu wünschen übrig. Das Haus konnte mit dem rasanten gesellschaftlichen Wandel in Rostock nicht Schritt halten; auch durch künstlerische Orientierungslosigkeit ging Publikum verloren. Die Tageszeitungen berichteten kontinuierlich und verstärkten oftmals (un)gewollt den fortschreitenden Bedeutungsverlust des Hauses für die Kunst- und Kulturszene der Stadt.
Die Stadtgesellschaft befand sich im Umbruch: Werftenschließung, Abwanderung Tausender Rostocker in die alten Bundesländer, neue Möglichkeiten, individuell die freie Zeit zu gestalten, zu reisen, sich neuen Medien zuzuwenden. Dann wurde wegen Brandschutzmängeln das Haus über Nacht geschlossen; der Umzug in ein wenig komfortables Theaterzelt verursachte einen weiteren Rückgang an Besuchern. Das Ensemble sowie die Mitarbeiter des Theaters indes haben während all der Jahre der enormen finanziellen, politischen und strukturellen Belastung sehr respektabel gearbeitet. Immer wieder gab es herausragende Leistungen, auch Uraufführungen und sehr viele ausverkaufte Abende.
Teile der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock als der größten Stadt des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit einem Etat von etwa 500 Millionen bekennen sich seit Jahren nur halbherzig zu ihrem traditionsreichen Haus und damit zu einer der fünf Traditionen dieser Stadt (Kirche, Hanse, Universität, Seefahrt und Maritime Wirtschaft, Theater).
Vor über zwanzig Jahren wurde der Beschluss gefasst, einen Theaterneubau zu realisieren. Seitdem streiten Bürgerschaft und Verwaltung über einen geeigneten Standort. Viel Papier mit Standortgutachten und anderen Konzepten ist seitdem geschwärzt worden, passiert ist de facto nichts. Der Eindruck entsteht, dass besagte Gremien ihr Theater und damit auch diesen Teil der eigenen Stadtgeschichte nicht sonderlich gut kennen und/oder schätzen. Das vermutlich diffuse Gefühl, dass mit der Verantwortung für die kulturelle Theatergegenwart der Stadt unausweichlich Tatsachen geschaffen werden, die weit über die eigene Amts- und Lebenszeit hinaus reichen, lässt die besagte Unentschiedenheit wenigstens teilweise als gerechtfertigt erscheinen.
Mit respektablen 122.000 Besuchern im Jahr 2013 spielt das Volkstheater Rostock als größter und ältester Kulturbetrieb der Stadt nur etwa acht Prozent seiner Kosten ein, in der Tat ist das noch zu wenig. Der Theaterleitung, dem Ensemble und den Mitarbeitern des Hauses ist dies bewusst. Mit dem neuen Intendanten Sewan Latchinian und dem theatererfahrenen Geschäftsführer Stefan Rosinski kann und wird der inhaltliche und betriebswirtschaftliche Neustart gelingen. Die Stadt Rostock prosperiert inzwischen, verzeichnet auch durch seinen neuen Status als Marinestandort seit Jahren Zuzug und ist in der Lage, Schulden in Millionenhöhe ans Land zurückzuzahlen. An der Universität studieren etwa vierzehntausend junge Menschen. In Rostock arbeitet die Hochschule für Musik und Theater sehr erfolgreich. Hier sind etwa 500 Kunststudenten immatrikuliert.
Die Zukunft des Theaters hat begonnen- ein ganzes Theater für unsere ganze Stadt!
Die vorwiegend fiskalisch geführte Theater-Diskussion seitens der Stadt und auch in Teilen der Stadtgesellschaft erfährt eine ungute Dynamisierung durch die Rolle, die die Landeskulturpolitik derzeit spielt. Die Landesregierung gibt bei einem Landesgesamthaushalt von 7000 Millionen lediglich 35,8 Millionen Euro für alle Theater und Orchester aus. Das entspricht 0,5 Prozent aller Landesmittel! Diese geringe Summe ist zudem seit Jahren nicht an die Inflationsrate angepasst worden, sodass alle Häuser, darunter das Rostocker Theater, netto weniger finanzielle Unterstützung bekommen als noch vor fünf oder zehn Jahren.
Das steht im unerklärlichen Gegensatz zu den Entwicklungen des Marktes. Mieten und Preise steigen, die Gehälter und Löhne in Maßen ebenso, häufig genug bedarf es dafür erst eines Streiks. Nur die Kunst soll immer weniger kosten! „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ (Karl Valentin) Theaterarbeit ist Arbeit, sie muss anständig bezahlt werden, wie die Arbeit der Kollegen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Verwaltung auch.
Die neun Modelle der vom Land für viel Steuergeld bestellten Firma METRUM führten nicht dazu, den Theaterreformprozess inhaltlich und kommunikativ glaubwürdig zu gestalten. Zudem versäumten es die Volksvertreter, die Verdienste der Häuser zu würdigen, da alle Theaterhäuser in den letzten Jahren schmerzhafte Anpassungsleistungen bereits erbracht haben.
In Rostock gingen Arbeitsplätze und eine Spielstätte verloren, weil das Volkstheater die Miete an die Stadt nicht mehr zahlen konnte. Nun steht das „Theater im Stadthafen“ jungen Künstlern der HMT und der freien Szene zur Verfügung, die darin auftreten dürfen. Die Betriebskosten für diesen Spielbetrieb bezahlt die Stadt in nahezu voller Höhe. Stellenabbau , keine Nachzahlung von tariflich garantierten Gehaltserhöhungen, der deshalb vor kurzem abgeschlossene Haustarifvertrag für das Orchester, der dafür notwendig scheinende Austritt aus dem Bühnenverein, dies alles sind Maßnahmen des Rostocker Theaters selbst zum Schutz seiner vier Sparten, für deren Erhalt sich 2013 über dreizehntausend Rostocker mit ihrer Unterschrift ausgesprochen hatten.
Die Theaterdemonstration im November dieses Jahres geriet erneut zu einem klaren Votum der Rostocker, die ein ganzes Theater für ihre ganze Stadt beanspruchen. Weder der an diesem Tage in Rostock weilende Ministerpräsident noch der Oberbürgermeister sprachen zu den Demonstranten. Eine vielsagende und im Grunde respektlose Geste in Richtung Wahlvolk.
Die immer wieder in der Tagespresse veröffentlichten Interviews und Beiträge von einzelnen Vertretern des politischen Raumes in der Stadt und seitens des Kultusministers Brodkorb bieten seit Monaten substanziell nichts Neues und stellen im Falle des Ministers zudem ein Statement eines SPD-Politikers mit Wahlkreis in der Rostocker Innenstadt dar, in der sich auch das Theater befindet.
Wünschenswert und wahrlich notwendig wäre bei den Amtsträgern, zumeist sind es Akademiker, ein Mentalitätswechsel, ein Gesinnungswandel, da die politische Diskussion in Stadt und Land sowie zwischen Stadt und Land längst in unannehmbarer Weise von Befindlichkeiten geprägt zu sein scheint denn von einer sachbezogenen und zugleich mit Empathie vermittelnden Kunst der Verhandlung.
Da in Stadt und Land genug Geld vorhanden ist, denn auch das Land zahlt mit seinen Steuereinnahmen Schulden in Millionenhöhe zurück, sollte der vorgeschobene Sparzwang endlich einem seriösen Diskurs über die Wirkungen von Kunst auf die Kultiviertheit und für die Stärkung der geistigen Dimension unserer Bürgergesellschaft weichen. Die Kunstproduzenten und Kulturarbeiter sind gesprächsbereit. Einen Fortschritt wird es geben, wenn diese in der Tat anspruchsvolle kommunikative Aufgabe allen am Diskurs Beteiligten gelingt. Diese Aufgabe wird gelingen, wenn alle Beteiligten sie gelingen lassen wollen.
Antje Jonas
Vorsitzende der „Freunde und Förderer Volkstheater Rostock e.V.“
„ Ein unheilvolles Licht liegt über den Landschaften des Lebens. Tag für Tag fliegen die Ideale, an die ich zu glauben gelernt habe, wie verachteter Plunder auf den Kerichthaufen… Die Gesellschaft, in der ich lebe, ist mittlerweile gleichgültig nicht nur Spitzenleistungen des Geistes gegenüber, sondern auch gegenüber dem menschlichen und geistigen Stil des Alltagsdurchschnitts… den Technik- und Rekordehrgeiz, der die Massen nahezu restlos zufrieden stellt, halte ich für verhängnisvoll. Vertreter des Geistes sind selten und müssen wie Mönche, die sich im Mittelalter mit dem Geheimnis des Buchstabens vor wandalischen Eroberern versteckten, in allerlei Katakomben unterkriechen. Jede demonstrative Lebensäußerung ist von einem unmissverständlichen, tragischen Angstgefühl durchdrungen.“ (Sándor Márai, Bekenntnisse eines Bürgers. Erinnerungen, 1934)